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Stolpersteine in Berlin für Gertrud und Hermann Cohn

Am Freitag, 7. Oktober 2022, wurden in der Prinz-Georg-Straße 7 in Berlin-Schöneberg, dem letzten Wohnort von Gertrud und Hermann Cohn, vier Stolpersteine von Gunter Demnig und seinem Team verlegt. Anwesend waren zirka 30 Personen, darunter die Enkelin der Cohns, Frau Dr. Edith Meinhardt, die den Antrag gestellt hatte, und Hendrik Johannemann, der die Idee hatte und die Organisation in Zusammenarbeit mit dem Bezirksamt Tempelhof-Schöneberg übernahm. Unterstützt wurde das Projekt vom Förderverein Cohn-Scheune und großzügig durch Spenden finanziert von den Hausgemeinschaften Prinz-Georg-Straße 6 und 7 und Ebersstraße 15 sowie dem SPD-Ortsverein.

Gunter Deming beim Verlegen der Stolpersteine. Foto: Tom Schaberg

Jetzt erinnern zwei Stolpersteine an das Ehepaar Cohn und zwei an die Schwestern Margaretha und Hedwig Stillmann. Der geschichtliche Hintergrund ist kurz erzählt: Am 1. Juni 1939 zogen Gertrud und Hermann Cohn aus Rotenburg nach Berlin, weil ihnen zuerst das Geschäfts- und Wohnhaus in der Großen Straße 32 und dann jegliche berufliche Existenzmöglichkeit in Rotenburg genommen worden waren. Auch die gemietete Wohnung in der Werkstraße 1 (heute Werkstraße 11) wurde ihnen gekündigt. Durch die Hilfe des ältesten Bruders, Siegmund Cohn, konnten sie ein möbliertes Zimmer in der Prinz-Georg-Straße 7 im 3. Stock rechts bei den Schwestern Stillmann beziehen. Auf diese Weise lebten sie in Nachbarschaft zu Siegmund Cohn und seiner nichtjüdischen Ehefrau Anna Cohn geb. Heuer, die in der Prinz-Georg-Str. 10 wohnten.

Nur wenige Monate konnten Gertrud und Hermann Cohn in der Anonymität der Großstadt ein relativ normales Leben führen. Mit Kriegsbeginn verschärften sich die Drangsalierungen gegenüber der jüdischen Bevölkerung drastisch, und beide mussten Zwangsarbeit leisten. Ihre Hoffnung, nach Kolumbien zur ältesten Tochter Erna auszuwandern, zerschlug sich im Oktober 1941 mit dem Auswanderungsverbot. Zugleich setzten die Deportationen der jüdischen Bevölkerung ein.

Die Schwestern Stillmann, die als Näherinnen gearbeitet hatten, gehörten zu den über 1000 Personen, die am 19. Januar 1942 mit dem 9. Osttransport nach Riga gebracht und ermordet wurden. Gertrud Cohn und Hermann Cohn wohnten noch über ein Jahr in diesem Haus, bis sie, getrennt voneinander, am 1. bzw. 3. März 1943 nach Auschwitz deportiert und ermordet wurden.

Diese Nachricht musste Siegmund Cohn in der Nachkriegszeit seinen Nichten Erna Appel geb. Cohn in Bogotá und Hildegard Isner geb. Cohn in London übermitteln. Er selbst überlebte die NS-Zeit trotz Zwangsarbeit und zweiwöchiger Inhaftierung im Berliner Sammellager Rosenstraße dank seiner Ehefrau Anna Cohn. Sie gehörte auch zu Frauen, die durch ihre tagelangen Protestdemonstrationen in der Rosenstraße Ende Februar bis Anfang März 1943 die Freilassung ihrer inhaftierten jüdischen Familienmitglieder bewirkten. Das war eine der wenigen erfolgreichen Widerstandshandlungen gegen das NS-Regime.

Diese Informationen können ausführlich in dem von Inge Hansen-Schaberg herausgegebenen Band „Weiterzählen. Die Cohn-Scheune – Jüdisches Museum und Kulturwerkstatt“, erschienen 2021 im Verlag Hentrich & Hentrich, nachgelesen werden. Sie beruhen auf den Recherchen, die im Jüdischen Museum Cohn-Scheune nicht nur über die Familie Cohn, sondern auch über andere jüdische Menschen in der Region und darüber hinaus geleistet werden. Die wenigsten von ihnen haben die NS-Zeit überlebt. Vor dem ehemaligen Wohn- und Geschäftshaus in der Großen Straße 32 erinnern sechs Stolpersteine, die Gunter Demnig bereits am 3. Mai 2005 verlegt hat, an Gertrud und Hermann Cohn, an die beiden jüdischen Angestellten Bernhard Heilbronn und Paul Immermann sowie an die im Exil überlebenden Cohn-Töchter Erna Appel und Hildegard Jacobsohn. Dieser denkwürdige Tag führte die Nachfahren der Familie erstmalig zusammen. Sie stehen seitdem miteinander in Verbindung.

Dieser Sachverhalt wurde am 7. Oktober 2022 in Berlin von Inge Hansen-Schaberg vorgetragen. Im Anschluss las Edith Meinhardt, die Enkelin von Gertrud und Hermann Cohn, aus deren Briefen an ihre Tochter Hildegard Cohn vor. Die damals Neunzehnjährige konnte im März 1939 nach England fliehen und bekam bis zum Beginn des Krieges regelmäßig Briefe von ihren Eltern Gertrud und Hermann Cohn. Sie hat sie alle aufgehoben, lesen wollte ihre Mutter sie nie wieder, sagte Edith Meinhardt. Sie selbst konnte die Briefe ihrer Großeltern erst 2020 lesen, nachdem eine gute Freundin vom Cohn-Scheune-Verein die handschriftlich verfassten Briefe transkribiert hatte. Jetzt ist die erhalten gebliebene Korrespondenz in dem Band „Weitererzählen“ veröffentlicht worden. Edith Meinhardt meint, ein Satz aus einem der Briefe könnte als Überschrift über allen Briefen stehen. „Mache Dir keine Sorgen um uns, wir kommen schon durch. Herzliche Grüße u[nd] Küsse Deine Mutti“. Edith Meinhardt zitierte nach dem Verlesen einiger Briefauszüge die deutsch-jüdische Schriftstellerin Grete Weil, „Vergessen tötet die Toten noch einmal.“, und sagte, dass es sie sehr berühre, dass heutige Nachbarn durch Stolpersteine an Hedwig und Margaretha Stillmann sowie an ihre Großeltern Gertrud und Hermann Cohn erinnern wollen. Sie dankte allen und insbesondere Hendrik Johannemann, dass er die Stolpersteinverlegung initiiert und organisiert hat.

Stolpersteine Berlin

Die Stolpersteine in der Prinz-Georg-Str. 7 in Berlin-Schöneberg. Foto: Tom Schaberg.

Zum Abschluss erklärte Hendrik Johannemann, wie es zur Verlegung der Stolpersteine gekommen ist. Im Grunde ist es einem großen Zufall zu verdanken, denn auf einer Geburtstagsfeier kam das Gespräch auf die Prinz-Georg-Straße, Hausnummer 6, wo er damals wohnte. Daraufhin erzählte Inge Hansen-Schaberg über ihre Recherchen zu Gertrud und Hermann Cohn. Es wurde schnell entschieden, sich für die Verlegung von Stolpersteinen einzusetzen und Edith Meinhardt einzubeziehen. Er dankte ihr für die Antragstellung und auch Dr. Katharina Kretzschmar vom Bezirksamt Tempelhof-Schöneberg, die bei der Realisierung unterstützend tätig war, und dankte für die nachbarschaftlichen Spenden! Sein größter Dank galt jedoch Gunter Demnig und seinem Team für ihren unermüdlichen Einsatz für das Gedenken an die vom NS-Regime Verfolgten und Ermordeten.

Die niedergelegten Blumen und die Schweigeminute bezogen auch den bereits vorhandenen Stolperstein für Henriette Jette Damerius ein, die am 21. Januar 1944 nach Theresienstadt deportiert und ein Jahr später ermordet worden war.

 

Inge Hansen-Schaberg, Vorsitzende des Fördervereins Cohn-Scheune e.V.