Die Geschichte der Familie Cohn im niedersächsischen Rotenburg begann bereits Mitte des 18. Jahrhunderts. In den nächsten Generationen gelang es der Familie, in der Stadt einen Textilhandel aufzubauen. Im Jahre 1861 erbte David Isaac Cohn das Grundstück Große Straße 32, auf dem seine Nachfahren bis 1934 lebten.
Hermann und Gertrud Cohn, deren Porträt im Eingang des Museums hängt, übernahmen 1922 das Bekleidungsgeschäft und konnten es zu einem überregional bekannten Textilhaus ausbauen. Die Cohns hatten die Generalvertretung der damals berühmten deutschen Bekleidungfirma BLEYLE für die Region.
Wegen der judenfeindlichen Politik der Nationalsozialisten ging Hermann Cohn 1934 in Konkurs, und sein Wohn- und Geschäftshaus wurde zwangsversteigert. Er musste mit seiner Familie ausziehen und wohnte dann bis 1939 in einem Haus in der Werkstraße. Als auch das Wandergewerbe für Juden verboten worden war, flüchteten Gertrud und Hermann Cohn Rotenburg Anfang 1939 nach Berlin zu seinem älteren Bruder Sigmund Cohn. Hermann und Gertrud wurden mit Beginn des Zweiten Weltkriegs zu Zwangsarbeit verpflichtet. Gertrud arbeitete bei Siemens & Halske, Hermann bei den Stadtwerken Berlin. Gertrud wurde am 1. März 1943, Hermann am 3. März nach Auschwitz deportiert. Ob sie bereits auf dem Transport starben, im Lager oder gar in den Gaskammern von Auschwitz ermordet wurden, ist unklar.
Die beiden Töchter von Hermann und Gertrud Cohn überlebten den Holocaust. Die ältere Tochter, Erna, geboren 1914, ging 1934 als Hausmädchen nach Eldagsen bei Hannover und emigrierte 1938 mit ihrem Ehemann Julius Appel nach Kolumbien. Hildegard Cohn, Jahrgang 1919, verließ Rotenburg 1935, fand in Stolzenau und Warendorf eine Anstellung als Hausmädchen und konnte im März 1939 nach England flüchten und dort als Hausangestellte arbeiten. Sie lebt heute in Dresden, nachdem sie 1948 mit ihrem Mann und ihren beiden Töchtern nach Deutschland zurückgekehrt war.
Die beiden jüdischen Angestellten, der Schneider Paul Immermann und der Vertreter Bernhard Heilbronn, wurden in den Lagern Minsk und Treblinka ermordet.
Am 3. Mai 2005 wurden zur Erinnerung an das leidvolle Schicksal Ernas und Hildegards, ihrer ermordeten Eltern und der Angestellten Paul Immermann und Bernhard Heilbronn, sechs Stolpersteine vor dem ehemaligen Wohnhaus in der Großen Straße 32 verlegt. An diesem Tag begegnete Hildegard, die heute mit Familiennamen Jacobsohn heißt, erstmals nach 70 Jahren ihrer Verwandtschaft: den Kindern und Enkeln ihrer inzwischen verstorbenen Schwester Erna.