Sonderausstellung zur Erinnerung an das Textilgeschäft J.D. Cohn in Rotenburg
2. Juni bis 15. September 2024
Die Vorfahren der jüdischen Familie Cohn waren seit Mitte des 18. Jahrhunderts in Rotenburg ansässig und im Textilhandel tätig: zunächst in der Hinterstraße (heute Goethestraße), dann ab 1827 in der Poststraße (heute Große Straße) nahe dem Pferdemarkt. Der eigentliche Geschäftsgründer in der Großen Straße 32 war David Isaak Cohn ab 1861, aber schon 1877 übernahm sein Sohn Julius David Cohn und baute „J.D. Cohn“ zu einer führenden Kleidungs- und Stoffhandlung mit eigener Schneiderei aus. Die Scheune im Garten wurde 1896 erweitert und als Schneiderwerkstatt eingerichtet.
1922 übernahm Hermann Cohn das Wohn- und Geschäftshaus und die Schneiderei von seinem Vater, bekam die Generalvertretung der Firma Bleyle und wurde weit über die Grenzen Rotenburgs bekannt. In der Erinnerung von Erna Appel, der ältesten Cohn-Tochter, beschäftigte die Firma 12 Angestellte, darunter zwei Verkäufer, eine Verkäuferin, einen Buchhalter, einen Zuschneider mit zwei Schneidergesellen, eine Hutmacherin, einen Lehrling und drei Detailreisende (Vertreter).
Das florierende Textilhaus kam jedoch wie viele andere in Folge der Weltwirtschaftskrise in finanzielle Probleme, die zunächst aufgefangen werden konnten. Allerdings sorgte nur wenige Jahre später der Boykott jüdischer Geschäfte dafür, die Familie Cohn in den Ruin zu treiben, so dass im September 1934 der Konkurs angemeldet werden musste. Das Wohn- und Geschäftshaus wurde verpachtet, und 1937 kam es Zwangsversteigerung. Die Sparkasse wurde Eigentümerin und verkaufte es am 31. Januar 1938 an den Schneidermeister Heinrich Gerken, einem ehemaligen Angestellten der Cohns, der das Geschäft weiterführte.
Die Quellenlage zu dem Textilgeschäft J.D. Cohn ist spärlich: Einige Briefe, Abrechnungen und Werbeanzeigen der Firma sowie Kleiderbügel sind erhalten geblieben. Sie werden in derSonderausstellung zusammen mit Exponaten der Firma Bleyle präsentiert, die dankenswerterweise vom StadtPalais – Museum für Stuttgart ausgeliehen werden konnten. Es handelt sich um Artikel, die damals zu dem Angebot des Geschäfts gehört haben könnten: ein kleiner Matrosenanzug und verschiedene Jacken und kurze Hosen für Knaben, Werbeschilder und ein Warenkatalog.
Das Geschäft und die Schneiderei wieder erlebbar zu machen, wurde zum Projekt von Gundula Volk-Lehmann, die anhand der überlieferten Beschreibungen von Hildegard Jacobsohn, der jüngsten Cohn-Tochter, eine Rekonstruktion des Textilladens als Puppenstube erarbeitet hat: Im Geschäft befindet sich links das Kontor. Die Buchhaltung, Bestellungen und Abrechnungen und auch ein Teil Alltagsleben fanden hier statt. Über dem Sofa sieht man das Hochzeitsfoto von Hermann und Hildegard Cohn von 1913. Rechts sieht man das Textilgeschäft. Dort findet man zusätzlich zu Kinder-, Damen- und Herrenbekleidung auch Hüte aus hauseigener Herstellung, Tuchwaren, Reisedecken, Tisch- und Bettware und vieles mehr, was hier zum Verkauf angeboten wurden.
Die Schneiderei, wie sie damals betrieben wurde, war in dem separaten Gebäude im Garten untergebracht. Die historische Scheune wurde im Nachbau des Fachwerks der Cohn-Scheune im Maßstab 1:10 im Juni 2023 im Rahmen einer Projektwoche von Schülerinnen und Schülern des Jahrgangs 9 mit ihren Lehrern Bruno Gärtner und Matthias Schröder und mit der Unterstützung von Brigitte Haase in der Werkstatt der IGS hergestellt. Gundula Volk-Lehmann hat dieses Modell als Schneiderwerkstatt eingerichtet. Sie zeigt das Maßnehmen und den Zuschnitt, das Nähen und die Anprobe, so dass nachvollzogen werden kann, wie damals maßgeschneiderte Herrenkleidung genäht wurde.
Viel Vergnügen beim Entdecken der Details!