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Nachruf auf Hildegard Jacobsohn, geb. Cohn

Hildegard Jacobsen

„Alles kann man nicht erzählen, das ist einfach so … es ist so viel“, das sagte Hildegard Jacobsohn in späten Jahren. Als Zeitzeugin blickte sie auf Nachfrage immer wieder auf eine lange vergangene Zeit zurück, von der niemand sonst mehr Zeugnis ablegen konnte und die doch gleichzeitig als ihr Leben sehr präsent waren. Sie hat immer versucht, so genau und objektiv wie möglich zu berichten: über ihre Kindheit als Tochter einer angesehenen jüdischen Kaufmannsfamilie in Rotenburg (Wümme), die Verfolgungen in der NS-Zeit, ihre Flucht und dem Exil in England, den Verlust der Eltern, von den Mühen der Gründung einer eigenen Familie und dem Aufbau eines besseren Deutschlands, ihr Leben in der DDR und die Erfahrungen der Wiedervereinigung.

Hildegard Jacobsohn ist in den letzten drei Jahrzehnten immer wieder als wichtige und oft einzige Zeitzeugin aufgesucht worden. Doch sie hat nie in oder für die Vergangenheit gelebt, sondern stets in die Gegenwart und nach vorn geschaut. Ihr ging es darum, was man aus ihrem bewegten Leben – den schwierigen Bedingungen und traumatischen Erlebnissen von Verfolgung, Exil und Krieg – lernen konnte für die Gegenwart. Daher blieb ihr Blick zurück immer vielschichtig, sie erinnerte sich an Gutes und Schlimmes gleichermaßen. Ihre Erinnerungen waren nicht von Zorn oder Mitleid geprägt, sondern von den Menschen, mit denen sie ihr Leben in allen Epochen geteilt hat. Die Menschen, ihr persönliches Umfeld und das gesellschaftliche Miteinander waren für sie das Wichtigste. Noch im hohen Alter hat sie die politische Entwicklung verfolgt und sich als Teil eines Ganzen verstanden. Ihre eigenen Erfahrungen haben ihr dabei sowohl Sorge als auch Hoffnung bereitet.

Vorbildlich und einzigartig auch im hohen Alter waren ihre stete Hilfsbereitschaft und ihre Bescheidenheit. Als in Rotenburg Ende der 1980er Jahre über NS-Verfolgung und das Schicksal der Familie Cohn recherchiert und erinnerungspolitisch gestritten wurde, konnte die in Greifswald lebende Jacobsohn – über den Eisernen Vorhang hinweg – das weitgehend unbekannte Schicksal ihrer 1943 in Auschwitz ermordeten Eltern bestätigen. Ihre Aufgeschlossenheit führte zu neuen Verbindungen in ihre Geburtsstadt und nach der Wiedervereinigung zu wiederkehrenden Besuchen.

In den Jahren, in denen die Cohn-Scheune, das letzte originale Gebäude der Familie, gerettet wurde und als jüdisches Regionalmuseum neu entstand, unterstützte sie gemeinsam mit ihren Töchtern Edith Meinhardt und Eva Klein das Projekt von Beginn an mit ganzer Kraft. Als Zeitzeugin, Stifterin zahlreicher Dokumente und als Ehrenmitglied des Fördervereins Cohn-Scheune war sie jahrelang beteiligt und ihre Hilfe unersetzlich. Im September 2010 wohnte sie als Ehrengast mit 91 Jahren der Eröffnung der Dauerausstellung und der würdigen Erinnerung ihrer Familie in Rotenburg bei, und einer der Kreise ihres Lebens schloss sich.

Doch für Hildegard Jacobsohn ging es weiter. Sie nahm Anteil an der Etablierung der Cohn-Scheune, hielt Kontakt und half immer wieder bei neuen Fragen. Als sie am 26. Juli 2019 in Dresden, wo sie mittlerweile lebte, ihren 100. Geburtstag beging, erhielt sie nicht nur zahllose Glückwünsche, sondern auch eine Ehrenmedaille aus Rotenburg. Wie es ihre Art war, nahm sie all das mit Dankbarkeit und Bescheidenheit an. Am 10. Januar 2021 ist Hildegard Jacobsohn gestorben. Doch damit ist längst nicht alles erzählt, und ihr Jahrhundertleben wird nicht vergehen.

 

Dr. Manfred Wichmann

Januar 2021

 

In großer Dankbarkeit nehmen wir Abschied von unserem Ehrenmitglied Hildegard Jacobsohn, geb. Cohn

* 26.07.1919         † 10.01.2021

Wir verneigen uns vor einer beeindruckenden Frau und trauern mit ihrer Familie.

Ihre Geschichte bleibt unsere Verpflichtung, sich gegen jede Form von Rassismus und Antisemitismus einzusetzen

 

Vorstand und Beirat des Fördervereins Cohn-Scheune e.V.