Die Cohn-Scheune als Ort des Erinnerns von Kilian Burmester

Dieser Beitrag ist nach dem Besuch eines Geschichtsleistungskurs der Eichenschule Scheeßel am 8. Februar 2024 in der Cohn-Scheune entstanden. Die Aufgabe, die der Geschichtslehrer Stephan Anders den Schülerinnen und Schüler zum Thema „Erinnerungskultur“ stellte, bestand darin zu beurteilen, inwieweit sie die Cohn Scheune für einen geeigneten Erinnerungsort halten.

Die Cohn-Scheune als Ort des Erinnerns

Welche Bedeutung hat die Cohn-Scheune?

Die Cohn-Scheune ist eine kleine Gedenkstätte jüdischen Lebens und besonders der Verfolgung der jüdischen Familie Cohn in der Zeit des Nationalsozialismus in Deutschland. Sie steht in der Kreisstadt Rotenburg Wümme und erinnert dort an die ehemalige Schneiderei der Familie Cohn und an das unfassbare Leid, welches diese Familie durch den Antisemitismus und die Rassenideologie der NSDAP erleben musste. Auf zwei Etagen kann man sich zum einen durch die Geschichte jüdischen Lebens in der Region sowie das Judentum an sich informieren. Im unteren Teil der Gedenkstätte findet sich der Großteil des Museums. Dort beginnt die Ausstellung mit der Geschichte jüdischen Lebens in der Region bis hinüber zu den Vorfahren der Familie Cohn und der Gründung des Textilgeschäfts mit der Schneiderei. Des Weiteren lässt sich Videomaterial von Hildegard Cohn finden, welches ihre grausamen Erlebnisse in der Reichspogromnacht vom 9. November 1938 erzählt. Im oberen Teil der Gedenkstätte findet sich eine Ausstellung vieler wichtiger Objekte des jüdischen Glaubens. Von einer originalen Tora bis hin zur Gebetsraumeinrichtung gibt es viel zu sehen.

Bewertet die Wirksamkeit, die die Cohn-Scheune im Zusammenhang mit dem Erinnern an den Antisemitismus im Nationalsozialismus, entfaltet!

Durch diese Art der Gedenkstätte lässt sich die Cohn-Scheune in das von Jan und Aleida Assmann definierte kulturelle Gedächtnis einordnen. Es handelt sich bei ihr um eine Gedenkstätte, welche Geschehenes durch Texte, Bilder und Abbildungen von Originalquellen festhält und an spätere Generationen weitergibt. Ihr Zweck ist das Erinnern an das jüdische Leben in dieser Region am besonderen Beispiel der Familie Cohn, die durch den Rassenwahn und den Antisemitismus der Nationalsozialisten „gepiesackt“ (Hildegard Cohn), tyrannisiert, in den wirtschaftlichen Ruin getrieben, nahezu komplett aus der Gesellschaft ausgeschlossen, aus ihrem Haus in eine kleine Wohnung vertrieben, durch Zwangsarbeit in Berlin fast bis in den Tod zur Arbeit gezwungen und schlussendlich in einem Konzentrationslager auf brutalste Weise ermordet wurde. All diese Dinge stellt die Cohn-Scheune aus und sorgt so dafür, dass dieses unfassbare Leid einer Bevölkerungsgruppe keinesfalls in Vergessenheit geraten kann.

Besonders eindrücklich geschieht dies durch die Videoaufnahmen von Hildegard Cohn, in denen sie über ihr Leid in der NS-Zeit spricht. So berichtet sie sehr eindrucksvoll davon, wie während der Reichspogromnacht Männer der SA in das Haus stürmten, alles verwüsteten und sie suchten. Sie erzählt, wie sie sich unter Todesangst in einer Kiste auf dem Dachboden versteckte und dort bis zum nächsten Tag ausharren musste, um sicherzugehen, dass sich die Gefahr gelegt hat und sie fürs erste wieder in „Sicherheit“ ist.

Durch diese Videobotschaften werden das Leid und die ganzen „trockenen“ Fakten, die man erfährt, zumindest für mich emotional deutlich greifbarer. Auf einmal bekommen die Namen und Zahlen Gesichter, es wird, obwohl man es eigentlich immer weiß, plötzlich deutlich, dass hinter alle diesem Menschenleben stecken. Leben, die zerstört und ihrer Würde beraubt wurden.

Durch die Abbildungen von Originalquellen wird besonders das Leben der Nachkommen im Exil verdeutlicht. So wird es für den Betrachter deutlich greifbarer, vor welche Herausforderungen die Auswanderer im neuen Heimatland Kolumbien gestellt wurden. Sie standen in einem fremden Land, von dem sie weder die Kultur noch die Sprache kannten, geschweige denn eine Bezugsperson hatten.

Der Besuch in der Cohn-Scheune bleibt definitiv auch im Alltagsstress noch einige Tage präsent und beschäftigt einen, auch wenn man diesen Ort verlässt. Aber ist dies nicht genau das, was so eine Gedenkstätte erreichen soll? Die Menschen dazu anzuregen, sich bewusst zu erinnern, sich mit der Vergangenheit, so schrecklich sie auch sein mag, auseinanderzusetzen und all diese Taten eben nicht zu vergessen und nicht tot zu schweigen, sondern sie zu erzählen, sie zu verurteilen und so die Menschen zu würdigen, die in diesen Zeiten so viel unbeschreibliches Leid erfahren mussten.

Ich finde, dass die Cohn-Scheune zumindest bei mir genau diese Aspekte angesprochen hat und mich nochmal dazu angeregt hat, über diese Punkte nachzudenken und für mich selbst auch einen Umgang damit zu finden. So wird dieser Teil des kulturellen Gedächtnisses ein kleiner Teil meines kommunikativen Gedächtnisses, in dem ich über das Gesehene und Erlebte mit den Menschen in meinem Alltag spreche und meine Erfahrungen weitergebe. So kann der Besuch eines Einzelnen dafür sorgen, dass sich ganz viele Menschen mit diesem Thema auseinandersetzten und eventuell selbst anfangen, Ahnenforschung zu betreiben und sich mit einer Zeit, welche vor fast 80 Jahren am liebsten direkt in Vergessenheit geraten wäre, zu befassen.

Sonderausstellung zur Erinnerung an das Textilgeschäft J.D. Cohn in Rotenburg

2. Juni bis 15. September 2024

J.D. Cohn, Ausschnitt aus einer Postkarte aus dem Jahr 1926

Ausschnitt aus einer Postkarte aus dem Jahr 1926

Die Vorfahren der jüdischen Familie Cohn waren seit Mitte des 18. Jahrhunderts in Rotenburg ansässig und im Textilhandel tätig: zunächst in der Hinterstraße (heute Goethestraße), dann ab 1827 in der Poststraße (heute Große Straße) nahe dem Pferdemarkt. Der eigentliche Geschäftsgründer in der Großen Straße 32 war David Isaak Cohn ab 1861, aber schon 1877 übernahm sein Sohn Julius David Cohn und baute „J.D. Cohn“ zu einer führenden Kleidungs- und Stoffhandlung mit eigener Schneiderei aus. Die Scheune im Garten wurde 1896 erweitert und als Schneiderwerkstatt eingerichtet.

1922 übernahm Hermann Cohn das Wohn- und Geschäftshaus und die Schneiderei von seinem Vater, bekam die Generalvertretung der Firma Bleyle und wurde weit über die Grenzen Rotenburgs bekannt. In der Erinnerung von Erna Appel, der ältesten Cohn-Tochter, beschäftigte die Firma 12 Angestellte, darunter zwei Verkäufer, eine Verkäuferin, einen Buchhalter, einen Zuschneider mit zwei Schneidergesellen, eine Hutmacherin, einen Lehrling und drei Detailreisende (Vertreter).

Das florierende Textilhaus kam jedoch wie viele andere in Folge der Weltwirtschaftskrise in finanzielle Probleme, die zunächst aufgefangen werden konnten. Allerdings sorgte nur wenige Jahre später der Boykott jüdischer Geschäfte dafür, die Familie Cohn in den Ruin zu treiben, so dass im September 1934 der Konkurs angemeldet werden musste. Das Wohn- und Geschäftshaus wurde verpachtet, und 1937 kam es Zwangsversteigerung. Die Sparkasse wurde Eigentümerin und verkaufte es am 31. Januar 1938 an den Schneidermeister Heinrich Gerken, einem ehemaligen Angestellten der Cohns, der das Geschäft weiterführte.

Werbeschild Bleyle

Werbeschild Bleyle, © StadtPalais – Museum für Stuttgart (2024) www.stadtpalais-stuttgart.de

Die Quellenlage zu dem Textilgeschäft J.D. Cohn ist spärlich: Einige Briefe, Abrechnungen und Werbeanzeigen der Firma sowie Kleiderbügel sind erhalten geblieben. Sie werden in derSonderausstellung zusammen mit Exponaten der Firma Bleyle präsentiert, die dankenswerterweise vom StadtPalais – Museum für Stuttgart ausgeliehen werden konnten. Es handelt sich um Artikel, die damals zu dem Angebot des Geschäfts gehört haben könnten: ein kleiner Matrosenanzug und verschiedene Jacken und kurze Hosen für Knaben, Werbeschilder und ein Warenkatalog.

Das Geschäft und die Schneiderei wieder erlebbar zu machen, wurde zum Projekt von Gundula Volk-Lehmann, die anhand der überlieferten Beschreibungen von Hildegard Jacobsohn, der jüngsten Cohn-Tochter, eine Rekonstruktion des Textilladens als Puppenstube erarbeitet hat: Im Geschäft befindet sich links das Kontor. Die Buchhaltung, Bestellungen und Abrechnungen und auch ein Teil Alltagsleben fanden hier statt. Über dem Sofa sieht man das Hochzeitsfoto von Hermann und Hildegard Cohn von 1913. Rechts sieht man das Textilgeschäft. Dort findet man zusätzlich zu Kinder-, Damen- und Herrenbekleidung auch Hüte aus hauseigener Herstellung, Tuchwaren, Reisedecken, Tisch- und Bettware und vieles mehr, was hier zum Verkauf angeboten wurden.

Puppenstuben-Ausschnitt: Kontor, © Gundula Volk-Lehmann

Puppenstuben-Ausschnitt: Kontor, © Gundula Volk-Lehmann

Puppenstuben-Ausschnitt: Stoffverkauf, © Gundula Volk-Lehmann

Puppenstuben-Ausschnitt: Stoffverkauf, © Gundula Volk-Lehmann

Die Schneiderei, wie sie damals betrieben wurde, war in dem separaten Gebäude im Garten untergebracht. Die historische Scheune wurde im Nachbau des Fachwerks der Cohn-Scheune im Maßstab 1:10 im Juni 2023 im Rahmen einer Projektwoche von Schülerinnen und Schülern des Jahrgangs 9 mit ihren Lehrern Bruno Gärtner und Matthias Schröder und mit der Unterstützung von Brigitte Haase in der Werkstatt der IGS hergestellt. Gundula Volk-Lehmann hat dieses Modell als Schneiderwerkstatt eingerichtet. Sie zeigt das Maßnehmen und den Zuschnitt, das Nähen und die Anprobe, so dass nachvollzogen werden kann, wie damals maßgeschneiderte Herrenkleidung genäht wurde.

Viel Vergnügen beim Entdecken der Details!